02.05.2024

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Deutsche Kommunistische Partei Karlsruhe





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"Wir machen den Christen den Himmel nicht streitig"

von Hilde Wagner

aus dem Buch "Erwin Eckert. Pfarrer und Kommunist. Zeitzeugen erinnern sich" (1993)

Es war im Frühsommer 1949. In Mannheim standen Oberbürgermeisterwahlen vor der Tür. Die KPD hatte der SPD einen gemeinsamen OB-Kandidaten gegen die CDU vorgeschlagen und ihre Bereitschaft signali­siert, bei der Wahl einen linSozialdemokraten zu unterstützen. Die SPD aber entschied sich für einen gemeinsamen Kandidaten mit der CDU. Daraufhin nomi­nierte die KPD Erwin Eckert als ihren OB-Kandidaten. Der KPD-Kreisvorstand setzte zur Organisierung des Wahlkampfes eine Wahlkommission ein, der auch ich angehörte. Ich war eine junge Genossin und wurde in der Kommission für organisationstechnische Aufgaben eingeteilt, was mir überhaupt nicht behagte. Viel lieber hätte ich eine politische Aufgabe übernommen, denn ich war diskussionsfreudig und ständig auf der Suche nach neuen, guten Argumenten zur Darlegung meiner kommunistischen Überzeugung. Dies brachte ich in der Kommission auch zum Ausdruck. Erwin, den ich schon seit 1946 kannte (er hatte gelegentlich in meinem Eltern­haus übernachtet, wenn er in meiner Heimatstadt Karls­ruhe in Versammlungen auftrat), lächelte mir aufmun­ternd zu. "Organisationsarbeit muss sein, Mädchen, aber ich verspreche Dir, dass Deine politische Weiterentwicklung nicht zu kurz kommen wird. Ich werde dafür sorgen, dass Du nicht hinter Deiner Schreibmaschine versau­erst" versicherte er mir. Und er hielt Wort. Während des ganzen Wahlkampfes nahm mich Erwin unter seine Fittiche: Wir verfassten gemeinsam Flugblätter, knobel­ten zusammen Agitationslosungen aus, und er nahm mich mit zu Hausbesuchen, Diskussionsabenden und Versammlungen.

Erwin konnte Menschenmassen zu Begeisterungs­stürmen hinreißen. Er war ein Mensch, der mit einfa­chen Worten ausdrücken konnte, was die Leute beweg­te. Man spürte bei jedem seiner Worte, dass sie kein leeres Gerede waren, sondern dass der ganze Mensch dahinter stand. Ich habe viel gelernt in dieser Zeit. Alle seine Versammlungen haben mich sehr beeindruckt, aber eine Diskussionsrunde mit Christen hat sich mir besonders eingeprägt, und ich kann mich bis auf den heutigen Tag gut daran erinnern.

***

Die Zusammenkunft mit den Christen hatte eine Vorgeschichte:

Kurz vor dem Wahltermin war im Parteibüro ein Mann aufgetaucht, der den "Herrn Stadtpfarrer Eckert" sprechen wollte. Da Erwin gerade nicht da war, musste der Mann mit mir Vorlieb nehmen. Er sagte mir, dass er ein Gemeindemitglied aus Erwins ehemaliger Pfarrei sei. Erwin habe ihn seinerzeit getraut und seine Kinder getauft. Er und seine ganze Familie hätten den Herrn Stadtpfarrer sehr verehrt und zu ihm aufgeschaut. Ich könne mir nicht vorstellen, wie enttäuscht sie gewesen seien, als Pfarrer Eckert 1931 in die KPD eingetreten sei und deswegen sein Amt als Pfarrer verloren hätte. Ihm und seiner Familie sei das damals wie ein Verrat vor­gekommen. Seine Frau hätte nächtelang "wie ein Schloss­hund geflennt" und dafür gebetet, dass der Herrgott dem Pfarrer ein Einsehen gäbe und ihn auf den rechten Weg zurückführe. Ohne Erfolg, wie ich wisse. Während der Nazizeit hätten sie dann erfahren, dass Pfarrer Eckert wegen seiner kommunistischen Gesinnung ins Gefäng­nis und ins Zuchthaus geworfen worden sei. Damals hätten sie erneut für ihn gebetet.

Heute würden er und seine Frau Erwins Weg vom Pfarrer zum Kommunisten unterschiedlich beurteilen. Er meine, dass der Verlauf des Krieges und der Unter­gang des "Nationalsozialismus" den Kommunisten recht gegeben hätte mit der Warnung auf ihrem Plakat: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg", über das Erwin Eckert seinerzeit ganz begeistert gewesen sei. Er meine auch, dass die Kom­munisten viel konsequenter gegen Hitler und den Krieg gekämpft hätten als die Kirche und dass die antifaschisti­sche, soziale und humanistische Grundhaltung des Pfarrers Eckert diesen fast mit logischer Konsequenz zu den Kommunisten gebracht hätte. Seine Frau dagegen betrachte Erwin Eckert immer noch als Abtrünnigen und Verlorenen.

Kurz und gut, er wolle Erwin bei der OB-Wahl seine Stimme geben, seine Frau aber sträube sich dagegen und sie hätten deswegen seit Tagen Streit miteinander. Jetzt hätte er sich dazu aufgerafft, Pfarrer Eckert aufzu­suchen und mit ihm über seinen Konflikt zu diskutieren. Ich versprach dem Mann, dass sich Erwin ganz bestimmt mit ihm in Verbindung setzen werde.

Als ich Erwin von dem Besucher erzählte und dessen Name nannte, konnte er sich auf Anhieb an das Ehepaar erinnern. Sofort machte er sich auf den Weg in den Jungbusch, wo die Leute wohnten. Bei seiner Rückkehr sagte er mir, dass wir nächste Woche in eine "Stubenversammlung" mit Christen gehen würden. Das war typisch für Erwin. Er war es gewohnt, in großen Versammlungen aufzutreten und vor Massen zu sprechen, aber eine kleine "Stubenversammlung" oder ein persönliches Gespräch waren ihm genau so wichtig.

***

Als wir zum verabredeten Zeitpunkt im Jungbusch eintrafen, begrüßte uns der Mann freundlich mit einem herzlichen Händedruck. Die übrigen Anwesenden (es waren etwa acht Männer und Frauen) ließen uns deut­lich ihre Antipathie spüren. Sie verhielten sich sehr zurückhaltend und förmlich, die Frau unseres Gast­gebers fast abweisend. Man sah ihr an, dass sie Erwin für einen Abtrünnigen und Renegaten hielt, der wie weiland Dr. Faustus Mephisto seine Seele verkauft hatte.

Erwin dagegen war zu allen freundlich und herzlich. Er strahlte sehr viel Wärme aus. Er packte, kaum dass er Platz genommen hatte, den Stier bei den Hörnern. Bevor er danach gefragt werden konnte, sprach er von sich aus die in den Köpfen herumspukenden Pro­bleme an.

Die Kirche und Gott seien nicht dasselbe, sagte er. Gegen Gott habe er keine Einwände, sondern gegen die Kirchenfürsten, die "Pharisäer". Er habe schon lange vor seiner Amtsenthebung, als er noch Pfarrer war, Einwände gegen die Politik der Kirchenoberen gehabt. Eigentlich seien ihm schon während des ersten Welt­krieges Zweifel gekommen, als Kriegsfreiwilliger im Schützengraben, als junge Deutsche auf junge Franzo­sen schießen mussten und umgekehrt. Es seien zwar der Kaiser und die Generale gewesen, die das befohlen hatten, aber die mächtige Kirche habe dazu geschwie­gen. Andererseits sei da das Wort des Täufers Johan­nes gewesen: "Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass Ihr einander liebet, wie ich Euch geliebt habe." Schon damals habe er auf der Seite des Johannes und nicht auf der Seite der Kirche gestanden, die den Hass duldete und das Gebot des Johannes ignorierte.

Und später, nach dem Krieg, sagte Erwin, bei den Diskussionen über die "Fürstenabfindungen", stand die Kirche auf der Seite des Adels, der durch seine Kriegs- und Eroberungspolitik so viel Unglück über unser Volk gebracht hatte. Das Privateigentum sei heilig, habe man ihm gesagt und ihn gerügt, weil er die Linken unter­stützte, die für die Enteignung der Fürsten eintraten und den armen Bauern deren Ländereien geben wollten. Weil er keinen Hehl aus seiner Haltung zur "Fürstenab­findung" gemacht habe und nicht still gewesen sei, habe ihm die Kirchenleitung wieder einmal eine Rüge erteilt. Da seien seine Zweifel gewachsen.

1931 habe er sich dann endgültig entschlossen, in die KPD einzutreten, als ihm die Kirchenleitung ein Versammlungs- und Redeverbot gegen den aufkom­menden Faschismus erteilen wollte. Zu der Frau gewandt sagte er: "Sie wissen selbst, dass ich nicht freiwillig von der Kanzel abgetreten bin, sondern dass die Kirche ein Dienststrafverfahren gegen mich einleitete, weil ich in Wort und Tat gegen die Nazis war". Damals habe er festgestellt, dass die KPD im Gegensatz zur Kirche ganz konsequent gegen den Faschismus kämpfte. Weil er das alles gesehen habe, hätte er sich für die KPD entschieden, obwohl ihm bewusst gewesen sei, wie die Kirchenleitung darauf reagieren werde. So schwer sein Weg auch war, er habe es nie bereut und er wisse, dass er seit 1931 auf der richtigen Seite gestanden habe.

Während Erwins Ausführungen hatte sich die Atmo­sphäre etwas gelockert und entspannt, die Mienen der Anwesenden waren nicht mehr so abweisend, und nach einer kurzen Pause stellte die Frau unseres Gastgebers Erwin eine Frage:

"Herr Pfarrer", (sie redete ihn immer noch mit seinem alten Titel an), "glauben Sie an Gott?"

Erwin antwortete:

"Ja, das tue ich, und niemand kann mir meinen Gottesglauben nehmen."

"Ich kann mir nicht vorstellen, wie man an Gott glauben und gleichzeitig Kommunist sein kann", antwor­tete zweifelnd die Frau.

Erwin ergriff ihre Hand:

"Mein Glaube an Gott hat mir in all den schweren Jahren des Faschismus Halt gegeben, ohne ihn hätte ich das alles nicht durch gestanden. Auch meiner Partei gegenüber habe ich niemals einen Hehl daraus gemacht, dass ich mich zu ihrer materialistischen Weltanschau­ung nicht bekennen kann, aber ihre Politik voll unterstüt­ze. Die KPD akzeptiert das und hält mich trotzdem für einen guten Kommunisten, sonst hätte sie mich ja nicht als ihren Oberbürgermeisterkandidaten nominiert. Ich bin trotz meiner christlichen Weltanschauung Sozialist und Kommunist geworden, weil ich politisch und aus meiner sozialen Gesinnung heraus bedingungslos zu dem stehe, was die KPD fordert und wofür sie kämpft. Ihr wisst so gut wie ich, wie die Lage während der Zeit der Weimarer Republik im Jungbusch war: Hunger, Elend, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit. Aber nicht die Kir­chenfürsten, sondern die KPD hat als einzige die Enteig­nung der großen Betriebe und damit die Abschaffung der Profitwirtschaft und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gefordert. Dem habe ich zugestimmt und beim Nachdenken darüber, wie man das erreichen kann, bin ich drauf gekommen, dass man dazu eine Organisation und eine soziale Kraft braucht. Und diese Kraft sind die Arbeiter, wie schon Karl Marx richtig festgestellt hat. Aber die einzige Partei, die sich ganz konsequent auf die Arbeiter orientiert, ist die KPD und nicht die Kirche, auch nicht die SPD, der ich früher einmal angehört habe und die mich ausgeschlossen hat, weil sie mir nicht verzeihen konnte, dass ich am KPD-Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau und gegen die aufkommende Kriegsgefahr teilgenommen habe."

Nach diesen Worten war die Stimmung noch gelöster geworden. Es folgten eine bis zwei Stunden des gegenseitigen Erzählens und Berichtens über die Verhältnisse jedes/jeder Einzelnen, über ihre Sorgen, Hoffnungen, über ihre Kinder und Enkelkinder und so fort. Ganz zuletzt sprach Erwin über seine Kandidatur und über sein Wahlprogramm zur OB-Wahl.

***

Es war schon spät, als wir uns verabschiedeten. Der schönste Augenblick für Erwin waren die Abschiedsworte der Hausfrau, wie er mir auf dem Heimweg erzählte.

Sie hatte Erwin eingestanden, dass er sie davon überzeugt habe, dass das, was die Kommunisten wollten, gut sei, um aber im gleichen Augenblick einschränkend und relativierend zu betonen, das Christentum jedoch sei ungleich besser. Auf Erwins Bitte, ihm das näher zu erklären, hatte die Frau geantwortet, dass die Kommunisten zwar paradiesische Träume hätten, aber nur für das kurze Erdendasein der Menschen. Das Christentum dagegen verkündige das Paradies für alle Ewigkeit und diese sei unendlich.

Erwin hatte schmunzelnd erwidert, dass es seiner Meinung nach keine bessere Basis der Gemeinsamkeit von Christen und Kommunisten geben könne. Die Kommunisten wollten den Christen den Himmel nicht streitig machen. Sie führten keinen Religionskrieg, das sei vorbei, sei quasi eine Kinderkrankheit des Kommunismus gewesen. Da wäre es doch nur fair, wenn die Christen den Kommunisten bei der Verwirklichung ihrer Ideale auf der Erde keine Hindernisse in den Weg legen, oder noch besser sie in ihrem Kampf für ein friedliches, demokratisches, antifaschistisches Deutschland unterstützen würden.

***

Mich hatte der Abend nachdenklich gemacht. Denn mich fasziniert bis zum heutigen Tag die materialistische Dialektik, und ich wusste, dass ich den Christen gegenüber nicht so hätte auftreten können, wie Erwin das aus seiner philosophischen idealistischen Grundhaltung heraus guten Gewissens tun konnte. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass alle in der "Stubenversammlung" Anwesenden Erwin ihre Stimme geben würden.

Eine Woche danach fand die OB-Wahl statt. Der Kommunist Erwin Eckert erhielt knapp 35 Prozent aller Mannheimer Stimmen. Das war gegen den gemeinsamen Kandidaten der CDU, SPD und FDP eine enorme Leistung.

Quelle: Erwin Eckert - Pfarrer und Kommunist. Zeitzeugen erinnern sich. Herausgegeben vom Mannheimer Gesprächskreis Geschichte und Politik e.V., 1993.
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2020-03-18 13:30:24

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